Ein großes IT-Unternehmen beschäftigt über 500 Mitarbeiter unterschiedlicher Herkunft. Die kulturellen Unterschiede sind auf den ersten Blick nicht von großer Bedeutung. Zur Sprache kommen sie häufig nur beim Bemerken von Konfliktpotenzial. Wie wichtig ein Perspektivenwechsel für kulturelle Unterschiede im Unternehmen ist – ein Gedankenexperiment mit interkulturellem Potenzial!

Herr Müller hat seit ein paar Monaten eine neue brasilianische Kollegin im Büro sitzen. Anfangs war er ihr gegenüber sehr aufgeschlossen, doch nach einiger Zeit musste er erschrocken feststellen, welche Eigenheiten (nennen wir es jetzt einmal so) sie mitbrachte. Schon morgens fing es damit an, dass sie bestens gelaunt ins Büro strahlte, bei Jour Fixes drängte sie sich mit ihrer Offenheit immer in den Vordergrund und statt dem Kunden die Hand zu reichen, wollte sie ihn mit ihrer Umarmung verbildlicht erdrücken. Herr Müller war von den Aufdringlichkeiten absolut genervt, sein Ärger gegenüber dem brasilianischen Temperament war auch bereits auf andere Kollegen übergeschwappt. Viele haben die Nase voll von ihr – sie sollte sich doch einfach an die „kulturspezifischen“ Gegebenheiten anpassen.

Diese Situation kommt in Unternehmen durchaus öfters vor als wir glauben. Wenn sich kulturelle Unterschiede bemerkbar machen und die Hintergründe des Handelns nicht verstanden werden (wollen), sind Konflikte vorprogrammiert. Die eigentlich selbstverständliche Pflicht des Unternehmens muss es sein, kulturelle Kontexte zu hinterfragen und zu verstehen. Könnte die Offenheit der neuen Kollegin nicht mit der Kultur, in die sie hineingeboren wird, zu tun haben? Ist unser Handeln nicht stark geprägt von unserer kulturellen Einbettung und unserem Umfeld? Gerade aufgrund einer fortschreitenden Internationalisierung in vielen Bereichen ist Interkulturalität keine Seltenheit mehr. Zudem bringt sie – denkt man mehr darüber nach als über die befremdliche Situation bei der Begrüßung eines Kunden – ungemein viele Vorteile. Diese können jedoch nur dann genutzt werden, wenn Interkulturalität als Kompetenz im Unternehmen gefordert und gefördert wird. Aus Unternehmenssicht sind insbesondere zwei Grundsteine besonders wichtig:

Reden!

Einfach aber effizient. Wo geredet wird, können auch die Hintergründe des Handelns verstanden werden. Nur wenn wir unser Handeln und jenes unserer Kollegen/Mitarbeiter hinterfragen, kann Beziehungsarbeit stattfinden. Bedeutet: das Team muss über alle Gegebenheiten informiert, Unklarheiten angesprochen und offen diskutiert werden – nur dann kann ein Zusammenarbeiten im kulturellen Mix stattfinden. Zudem bringt die Möglichkeit des Austauschens den Vorteil, dass Stereotypen aufgebrochen werden und die „fremde“ Kultur verstanden wird.

Bewusstsein schaffen

Interkulturalität ist nichts, über das wir schweigen sollten. Kulturelle Unterschiede sind ein Potenzial für alle im Team. Es werden unterschiedliche Kompetenzen – von der Sprache bis hin zur speziellen Ausbildung – frei. Wenn wir darüber reden, wissen wir auch, wie wir die verschiedenen Kompetenzen für uns nutzen können – statt „Eigenarten“ im Konflikt bekämpfen zu wollen.

Wechseln wir doch mal die Perspektive!

Interkulturalität setzt voraus, dass Einblicke in kulturspezifische Merkmale möglich gemacht werden. Die Räume dafür müssen vom Unternehmen gewollt und bereitgestellt, die notwendigen Kompetenzen der Mitarbeiter gefördert werden. Die Fähigkeit, unterschiedliche Gedanken und Absichten in die Arbeit miteinfließen zu lassen, fördert die Perspektivenvielfalt hin zu einer Organisationskultur, die Interkulturalität und Diversität wertschätzt und möglichen Konflikten wenig Platz lässt.