Durch die dynamischen globalen Märkte sind Unternehmen oft gezwungen, neue Strukturen zu etablieren, um sich anzupassen und handlungsfähig zu bleiben. Der Abschied von konservativen Organisationsstrukturen und Hierarchien fällt jedoch oft schwer, weil Führungskräfte fürchten, die Kontrolle zu verlieren, wenn sie Mitarbeitern mehr Kompetenzen übertragen. Die Praxis zeigt aber oft: Das Gegenteil ist der Fall. Selbstorganisation in Unternehmen kann ein Erfolgsfaktor sein!

Flache statt steile Hierarchien und Selbstorganisation statt Fremdbestimmung. Agile Transformationen können Unternehmen nachhaltig und positiv optimieren und handlungsfähig machen.
Unternehmen sind heutzutage vielerorts mit neuen Situationen konfrontiert. Der global und digital gewordene Markt schafft völlig neue Dynamiken und führt dazu, dass althergebrachte Management-Konzepte oft nicht mehr funktionieren. Hierarchien, Prozesse, Monitoring, Entscheidungsfindung, Forecast, Kontrolle: Viele Dinge sind heute in ihrer traditionellen Form in modernen Unternehmen, die in einen beweglichen Markt eingebettet sind, nicht mehr effektiv anwendbar. Vielmehr bedarf es neuer Herangehensweisen und Konzepte – etwa digitaler bzw. agiler Transformationen –, um der Dynamik des modernen Wirtschaftssystems Rechnung zu tragen. Das Zeitalter des statischen Bewirtschaftens von Unternehmen – in der Literatur treffend als die „Taylor Wanne“ beschrieben – haben wir schon lange hinter uns gelassen. Wir sind jedoch nach wie vor von den eingeprägten Denkmustern dieser Phase beeinflusst. Gleichzeitig spüren wir jedoch, dass wir damit am Zeitgeist der Unbeständigkeit, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit (engl. VUCA) vorbeimanagen.
Neue Ansätze sind oft ineffektiv
Oft wird versucht, unter alten, starren Unternehmens-Konstrukten modernistisch anmutende Neuerungen zu installieren. Wir pflegen dann das Selbstwertgefühl der Mitarbeiter, üben uns in gewaltfreier Kommunikation und lassen uns dazu Feedback geben. Wir fördern und fordern im kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP) das zielorientierte Mitwirken aller Mitarbeiter. Wir vermitteln Lean-Production-Wissen auf breiter Basis und sind am besten Weg zum Integrity-Führungs-Ansatz. So zumindest die Theorie.
In der Praxis zeigt sich aber immer wieder, dass neue Ansätze nicht immer gut funktionieren. Grund dafür ist oft, dass vor allem Führungskräfte nicht bereit sind, neue Wege einzuschlagen und lieber an althergebrachten Praktiken festhalten, weil sie sich davor fürchten, die Zügel zugunsten eines neuen Management-Ansatzes aus der Hand zu geben. Sie meinen, als Führungskräfte nicht mehr gebraucht zu werden, wenn sie den Mitarbeitern zu viele Kompetenzen übertragen. Eine ständige Angst von Führungskräften, seit dem Beginn der Humanisierungsbestrebungen in der Arbeitswelt.
Humanisierungsbestrebungen als Leistungsgarant
Im Zuge dieser Humanisierungswelle seit den 1970ern wurde versucht, Entfremdung der Mitarbeiter entgegenzuwirken, indem man gezielt eine persönliche Identifizierung mit der eigenen Arbeit förderte. Um diese Identifizierung und eine daraus entstehende Motivation der Mitarbeiter zu gewährleisten, war es nötig, den Mitarbeitern einerseits vermehrt Einblicke in ihre Tätigkeiten und deren Umfeld zu geben und ihnen andererseits die Möglichkeit zu geben, mitzudenken, mitzubestimmen und mitzuverantworten. Partizipation und Kooperation waren also der Schlüssel, um Integration, Identifikation und somit auch bessere Leistungen zu fördern. Wie sich im Zuge der Umsetzung dieser neuen Prinzipien zeigte, waren die Ängste der Führungskräfte, durch einen vermehrt mitarbeiterorientierten Führungsstil eigene Kompetenzen zu verlieren, unbegründet und sind es meistens auch heute noch. Denn Tatsache ist: Führungskräfte werden immer gebraucht werden, nur eben ein wenig anders als zu Zeiten des Taylorismus, als noch strenge und steile Hierarchien dominierten. Und daran müssen sich viele erst gewöhnen.
Selbstorganisation in Unternehmen: Neue Art, zu denken
Wenn wir heute von Kaizen, Integrity-Führungs-Ansatz oder Lean Management sprechen, geht es nicht primär um die Umsetzung neuer Management-Techniken. Vielmehr geht es um die Etablierung eines neuen Mindsets und um einen neuen Zugang, ein Unternehmen zu denken. Dieses neue Mindset hat zum Ziel, Unternehmen nachhaltig zu verändern, indem es statt auf starre Hierarchien auf Werte, Transparenz, Vertrauen, Kooperation und vor allem auf Selbstorganisation baut.
Die Prinzipien der Selbstorganisation sind heute sehr stark in der Mitte der Gesellschaft aber auch der Arbeitswelt angekommen und werden sehr breit durch Systemtheoretiker, Neurobiologen und Wirtschaftswissenschaftler beforscht. Erkenntnisse daraus möchte ich kurz gegenüberstellen und aufzeigen, wie es gelingt, den Erfolg des Menschen und gleichzeitig den Erfolg des Unternehmens in Einklang zu bringen. Um diese beiden Faktoren – Mensch und Unternehmen – produktiv unter einem Dach zu vereinen, müssen wir verstehen, welche Erfolgsfaktoren sowohl Menschen einerseits, als auch Unternehmen andererseits anstreben und in welchen Punkten sich diese überschneiden.
Selbstorganisation als Erfolgsfaktor für Menschen
Die sogenannte salutogenetische Grundregel (lt. Aaron Antonovsky „Salutogenese“ vom Lateinischen salus = Gesundheit/Wohlbefinden und -genese, also etwa „Gesundheitsentstehung“) beschreibt die Faktoren, die beim Menschen ein Gefühl der Kohärenz erzeugen. Diesen Erfolgszustand strebt der Mensch von sich aus ständig an, denn er fördert die Entstehung und Erhaltung von Gesundheit. Das Gefühl der Kohärenz hat folgende Aspekte:
- Das Gefühl der Sinnhaftigkeit: Es gibt Ziele und Anliegen für die es sich zu engagieren lohnt und für die eine Anstrengung sinnvoll ist.
- Das Gefühl der Gestaltbarkeit: Ich habe die Möglichkeit und die Ressourcen, das eigene Leben autonom gestalten zu können.
- Das Gefühl der Verstehbarkeit: Ich habe die Fähigkeit, die zusammenhängenden Abläufe des Lebens zu beherrschen.
Klare Strukturen als Erfolgsfaktor für Unternehmen
Unternehmen streben natürlicherweise nach anderen Dingen als Einzelpersonen. Die primären Managementdisziplinen mit großem Einfluss auf den Erfolg des Unternehmens sind:
- Eine eindeutig definierte Strategie die von allen Mitarbeitern, verstanden wird. Kein starres Gebilde, sondern im ständigen Wandel, der Dynamik des Kunden angepasst.
- Exzellente und stabile Prozesse, die sich selbstorganisiert in den Teams gestalten, aufrechterhalten und weiterentwickeln.
- Wertschöpfungsorientierte Strukturen oder Teams, die verständliches, autonomes und schnittstellenarmes Arbeiten ermöglichen.
- Eine Kultur oder Führung, die es den Mitarbeitern erlaubt, so autonom wie möglich, aber gleichzeitig mit den anderen verbunden zu sein.
Mit neuen Strukturen zum Erfolg
Schafft man es, Ziele und Wünsche von Mitarbeitern mit den Zielen des Unternehmens produktiv und proaktiv zu verschränken, profitieren alle Beteiligten davon. Ein integrativer Führungsstil erkennt die Überschneidung der Erfolgsfaktoren von Mensch und Unternehmen richtig und führt die Mitarbeiter dahin, sich mit Leidenschaft und Lust zur Gestaltung zu engagieren. Ziel soll es sein, Raum und Möglichkeiten zu schaffen, dass Mitarbeiter ihren individuellen, vielfältigen Eigensinn und ihr Erfahrungswissen und Verstehen umsichtig und wertschätzend für die im Gemeinsinn liegenden Ziele und Anliegen einsetzen. So entstehen selbststeuernde, wertschöpfungsorientierte Teams.

Wenn der Job zum integralen Bestandteil des eigenen Lebens wird und grundlegende Bedürfnisse des Individuums befriedigt, fördert dies Leidenschaft und Lust der Mitarbeiter an der eigenen Tätigkeit.
Wichtige Tipps für Führungskräfte
- Akzeptiere die Vielfältigkeit der Charaktere. Jeder ist anders und kann deshalb ganz spezielle Fähigkeiten einbringen.
- Unterstütze die Selbstorganisationsbestrebungen deiner Mitarbeiter und motivieren sie dazu, ihr Potential zu entfalten.
- Übertrage Verantwortung inklusive Entscheidungsgewalt an Mitarbeiter, die kompetent sind oder es noch werden sollen.
- Sei transparent und teile Strategien, Überlegungen und Absichten mit.
- Fördere Vertrauen durch regelmäßige und aufrichtige Face-to-Face-Kommunikation.
- Traue dich, eine agile Transformation in deinem Unternehmen zu vollziehen und binde deine Mitarbeiter darin ein.
________________________________
Über den Autor:
DI Siegfried Galler
Management Consulting
Unser Experte für Managementberatung ist seit 20 Jahren im Unternehmensconsulting tätig und auf Lean Management, Lean Prozessentwicklung und Organisationsentwicklung spezialisiert.
________________________________