Auch im Erwachsenenalter haben wir längst nicht ausgespielt: Wir spielen Brett- und Kartenspiele, schauen uns Theater und Filme an, wickeln andere im Rollenspiel um den Finger und lassen uns von Teambuilding-Spielen begeistern. Das alles liegt stärker in unserer Natur, als wir denken. Wir stellen vor: Homo ludens — den spielenden Mensch.
Schon als Kinder konnten wir im Spiel das Gefühl für Raum und Zeit verlieren: Stundenlang beschäftigten wir uns mit unserer Fantasiewelt, würzten jede öde Aktivität mit einer Portion Spiel und machten sie damit interessant. Kinder lernen spielend, wenn aus Vokabellernen ein Memoryspiel wird und die Matheformeln in spannende Rätsel verpackt werden. Spiele sind und bleiben Herzenssache und lassen uns Mensch sein. Beim reinen Spiel gibt es keine Angst und keinen Druck. Selbst Konkurrenten werden wertschätzend als Mitspieler wahrgenommen, denn ohne Konkurrenten gibt es kein Spiel.
Wer im Erwachsenenalter seinen Workflow spielerisch aufbaut, gilt dennoch oft als kindisch oder wird von Kollegen geschmäht. Dabei hat unser Drang zum Spiel und zur Unterhaltung eine evolutionäre Komponente.
Der spielende Mensch – Homo ludens
Allgemein bekannt wird der Mensch als Homo Sapiens (der vernünftige, verstehende Mensch) und Homo faber (der schaffende Mensch als Handwerker) beschrieben. Noch vor dem Homo ludens wurde in der Industrialisierung die Idee des Homo oeconomicus geboren. Er versucht in der Welt seinen Nutzen zu maximieren und gilt als rationaler Akteur in der Welt des Kapitalismus. Dem Historiker Johan Huizinga jedoch waren Denken und Handeln als Menschlichkeitsmerkmale nicht genug — für ihn war es genauso wichtig zu betonen, dass wir quer durch jede Kulturentwicklung hindurch gespielt haben: Unsere Kulturen bauen auf Spielen auf.
Huizinga weist das Spiel in nahezu jedem unserer Tätigkeitsbereiche nach. Demnach bilde es eine der wichtigsten treibenden und gestaltenden Kräfte unserer Kultur. Selbst bzw. vor allem Krieg lasse sich als Spiel unterordnen und Blutvergießen sei ein erlaubter Schachzug im Kontext dessen. Seine Überlegungen verpackte Huizinga 1938 in sein Werk „Vom Ursprung der Kultur im Spiel“, das bis heute als wichtigste Grundlage der Spielforschung gilt.
Spielerisch lernen
Alle unsere kulturell geprägten Fähigkeiten, unsere Eigenschaften und Charakterzüge entdecken wir über im Spiel gemachte Erfahrungen. Wenn wir als Kind Fantasiewelten erfinden, unsere eigenen Geschichten zusammenreimen und Rollen einnehmen, versuchen wir unser inneres Erleben in die Realität zu projizieren. Damit reflektieren und lernen wir. Im direkten Gegensatz zu Homo faber ist der Homo ludens nicht rational, er ist kreativ. Um unsere Kreativität nachhaltig zu fördern, Innovationen zu ermöglichen, uns selbst richtig kennenzulernen und Träume zu verwirklichen, benötigen wir auch im Erwachsenenalter das Spiel.
Hirnforscher und Autor Gerald Hüther erklärt „das Spielen“
Player oder Verweigerer
Der Mensch ist ein Spieler — über diesen Fakt kommen wir nicht hinaus. Egal wie wir unseren Alltag gestalten, stets werden uns spielerische Elemente begegnen, ob wir es wollen oder nicht. Annehmen erleichtert nicht nur das Leben, sondern verschönert es auch: Selbst in einem schlicht rationalen, logischen Alltag entkommen wir nicht den kleinen Spielereien des Lebens. Ganze Bereiche unserer Kultur bauen auf dem Prinzip des Spiels auf: Die Literatur spielt mit Worten und Fantasien, die Wissenschaft entstand in der Neugier zum Entdecken, die Kunst versucht die Realität zu formen, die Philosophie beschreibt Gedankenspiele, das Recht konzipiert und kontrolliert Spielregeln des Zusammenlebens. Jede Form von Wettbewerb, sei es am Arbeitsmarkt, im Handel oder im Sport, formt ein Spiel — ein Wettkampfspiel, wie es auch das populärste Spiel der Welt eines ist, das Fußballspiel. Jede Bestrebung, jemand anderes zu übertrumpfen, zu überzeugen oder zu beschwichtigen ebenso. Jede Form von sozialer Beziehung baut auf kulturellen Regeln auf, die es insgeheim zu befolgen gilt. Jedes Miteinander ist ein stetiges Geben und Nehmen unbewusster Verhaltensweisen, auf die der andere richtig (oder absichtlich falsch) einzugehen weiß. Ablehnung klappt nicht: Spielen ist unsere Sprache, unser Lebensstil, unser Wesen.
Mit dem Spiel kommt die Innovation
Wer selbstständig oder im Unternehmen dauerhaft erfolgreich sein will, der muss Innovationen bringen, umdenken und neue Arbeitsweisen integrieren. Dies klappt nur, wenn man als kreativ denkender Mensch spielerisch versucht, die Wirklichkeit zu formen. Innovation basiert auf den Regeln des Spiels: Neues entdecken, Spaß am Erfindergeist haben, die Realität bewusst verdrehen, Wettkampf zwischen Kollegen und Konkurrenten, Siegeseifer, Lösungsorientiertheit. Man ist demnach spielerisch innovativ oder gar nicht.
Lasst uns spielen!
Braucht man eigentlich noch mehr Gründe, Spiele wieder bewusster in unseren erwachsenen Alltag zu integrieren? Wir finden nicht! Man kann so gut wie jede Tätigkeit in ein Spiel verwandeln — wichtig ist nur, den Ernst herauszunehmen. Dann haben Mitarbeiter auf einmal Spaß an der Arbeit und erleben sie als Abenteuer. Nur zu oft wird das Schlagwort „Gamification“ dazu genutzt, die Kontrolle und den Druck zu erhöhen — dabei zielt „Spielen“ genau auf das Gegenteil ab.
Gebt euren Teams strategisch sinnvolle Spielziele, rahmengebende Spielregeln und eine Portion Transparenz — und dann lasst sie spielend auf die richtigen Lösungen kommen. Das Ergebnis wird euch mit Sicherheit überraschen!
Bereits oft bewiesen, sorgen kleine Wettkampfspiele zwischen Schichtabteilungen in der Produktion für mehr Motivation, Spaß und in Summe auch für mehr Effektivität. Auch in kreativen Berufen oder in der Sozialarbeit lassen sich spielerische Elemente leicht integrieren. In der, vom Homo oeconomicus dominierten, Welt der Wirtschaft sind Spielregeln und Spielziele bereits definiert — die Spieler (Mitarbeiter) müssen sich nur noch vom Druck des Ergebnisses lösen und sich auf das Spiel einlassen. Das bedeutet nicht, leichtfällig Entscheidungen zu treffen, sondern vielmehr die Einstellung zur Arbeit zu ändern. Gute Schachspieler erkennt man doch auch nicht anhand unüberlegter Züge und Strategien. Sie spielen leidenschaftlich und überlegt — so würde man doch auch erfolgreiche Manager beschreiben, oder? Eine spielerische Einstellung zur Arbeit einzunehmen, ändert gleichzeitig auch den Umgang mit eigenen und fremden Fehlern und somit auch die Fehlerkultur.
Gerade im Bereich der Teamentwicklung macht es Sinn — da, wo wir soziale Beziehungen aufbauen und stärken — auf Spiele zurückgreifen. Sie helfen uns dabei, wieder ein Stückchen weiter zu uns zurück zu finden, zu unserem natürlichen und ehrlichen Selbst. Nur wenn wir unseren Mitmenschen und Mitarbeitern so transparent entgegentreten, können wir unsere Zusammenarbeit auf Empathie aufbauen, Verständnis füreinander lernen und unsere tatsächlichen, vielleicht versteckten Stärken und Schwächen ideal aufeinander abstimmen.
Im Teambuilding kann man einfach reden — sich die Spielregeln ausmachen, Spielzüge offenlegen und neue Wege gemeinsam finden. Man kann auf die uns banalste und natürlichste Art und Weise miteinander in Kontakt treten: Über Spiele, deren Unterhaltungswert wir uns schon im Kindesalter bewusst gemacht haben. Ob Mario Kart, Maze Race oder Angry Birds, Activity, Turm bauen oder Volleyball. Wir versetzen euch zurück in eure Kindheit — und damit zurück zu euch selbst.
Text von Sarah Kampitsch und Paul Stanzenberger